Jan Vermeer
Frau und Interieur
Die Innenräume, die Jan Vermeer's Gemälde darstellen und eine Frau zum Zentrum haben, gehören dieser als ihr Domizil ganz wesentlich an. Jeder andere ist in der Tat ein anderer, bricht in diese, der Frau zugehörige Welt ein und unterbricht die Weise ihres dort Daseins. Sie ist die Herrin des Raums, darin sie sich jedoch nicht selbst genügt. Ausrichtung, Sehnsucht und das Liebesempfinden, das sich Ausdruck verschafft und zum Thema der Maleri wird, weisen über den Innenraum einer Seele hinaus, die sich nicht selbst besitzt und sich nicht selbst genügen kann. Anders wäre es keiner Darstellung zugänglich, setzte es sich nicht von sich aus in Verhältnis zu anderem, ihm äußeren und verlangte Überschritt und Verknüpfung aus dem Anspruch der Vereinigung und Integration (Gemeinschaft der Liebeserfüllung: Schönheit), mithin ein Eintreten und Teilnehmen, das als unterbrechend kenntlich bleibt.
Dass dieses ihr Dasein in einer umhütet abgeschlossenen Welt zugleich ein sich für uns geöffnetes ist und ihrerseits über das offene Fenster und das hereinfallende Tageslicht ein sich Öffnen und geöffnet Haben – allerding in eine andere Richtung – anzeigt, stellen in verschiedenen Gemälden Vermeers eigens die im Vordergund zurückgeschlagenen Vorhänge dar, die wiederum an die Funktion des Vorhangs vor einem dem profanen Blick verborgenen Allerheiligen erinnert und die Szene, die sein Zurückschlagen entbirgt, wiederum als Bild kennzeichnet, dessen es schützender und abgrenzender Vorhang nur von Zeit zu Zeit zurückgezogen wird, um es der öffentlichen Betrachtung frei zu geben, sonst aber entziehend, auch vor Sonnenlicht geschützt.
Diese einleitenden Bemerkungen zur Funktion des zurückgeschlagenen Vorhangs im Vordergrund führen zum Bild „Die Malkunst“. Im Bild „Das Glas Wein“ ist der Zugang offen, jemand schon eingetreten, der den Betrachter im Bildraum im Blick auf dessen thematisches Zentrum hin vertritt.
Das Glas Wein
Im Bild – Mit dem Weinglas, das ein am Tisch sitzendes Mädchen bis zur Neige leert – ist der Betrachter mit einem dunklen Ölgemälde an der Wand ihm gegenüber (wieder die Richtung des Mädchens zum leicht geöffneten Fenster hin kreuzend) konfrontiert, das – im Rücken des Mannes mit dem großen dunklen Hut – ein Waldszene zeigt, mögliche Tiere und Figuren sind nur ahnbar, die sich das tief ins Waldesinnere zwischen hohen Bäumen und ihren Stämmen bewegen.
Ist es die Gegend, in die der das Trinken und die Reaktion des Mädchens auf den in vollem Zug genossenen Wein (der seine Haltung lockern wird) beobachtende Mann es gerne geführt sehen möchte – ist es eine Verführung, in der der einschenkende Mann die Kontrolle behält?
Das Mädchen im rosaroten Brokatgewand hat sich durch den Eintritt des Freundes im Gitarrenspiel unterbrechen lassen. Sie war sehnsuchtsvoll gestimmt: aber auch das Musische der Musik trägt zu Gefasstheit bei, kann aber auch umgekehrt die Bezähmung der Begierden aufweichen, lenkt sie jedoch in eine sensitive Richtung. Der Wein dagegen wirkt sinnenkörperlich.
Seinem Glas steht das Glasfenster gegenüber, darin eine Heilige über einem Wappen zu erkennen ist, die ein Saumzäug hält; dies ganz symbolisch für die Tugend der Zügelung, also der Mäßigung.
Das Glas alleine in vollem Zug zu leeren, ist sicher nicht Bild der Mäßigkeit und zum Nachschenken bereit verkörpert die Haltung des Mannes die Unmäßigkeit in der neigung des Mädchens und damit seinen Verletzungswillen der inneren Balance, die die Komposition des Bildes vom Interieur dessen Gefährdung entgegenhält.
In keiner der beiden Figuren wäre so das verkörpert, was als Maß (der Mäßigung und der Harmonie für das Empfinden von Schönheit in Güte) zur Geltung zu bringen bzw. zu bewahren ist.
Die Szene könnte auch als tagräumerische Erwartungserfüllung gedeutet werden: das musizierende Mädchen, das in seinem Innenraum eingeschlossen ist, erdenkt sich den Eintritt eines Mannes, der ihr Wein zu trinken gibt, dass sie sich hingegen kann, heraustretend aus der mit der Sehnsuchtshaltung gekoppelten Zügelung (die auch das Interieur ist).
Zusammenstimmung in Kontrast (schwarzer Hut – weiße Haube) und Gegensatzbewegung - Gabe und Annahme