Gleichgewicht als Gefüge – Überlegungen zur Bildkunst des Johannes Vermeer
von Harald Erben, Steinheid
Das Bild „Frau mit Waage“ (Washington, National Gallery) ist ein herausragendes Beispiel für die Kompositionskunst von Stabilität und Rhythmus im Werk Jan Vermeers, die dem Betrachter vernehmbar und fühlbar wird.
Eine Frau in einer blauen Jacke mit Pelzbesatz steht ruhig an einem Tisch in einer Zimmerecke. Die Waagschalen in ihrer rechten Hand sind im Gleichgewicht, die Finger der linken liegen auf dem Rand der Tischplatte, übertragen gleichsam den Eindruck von dessen Schwere in die Kraft der stabilitas, der stabilen Haltung einer Person. Erst der genaueren Betrachtung erschließt sich die Möglichkeit, dass sich dieser Eindruck der materiellen Schwere des Holzes dem Braun eines Tischtuchs verdanken könnte.
Zum Ausdruck kommt eine Haltung, die körperlich auch einem inneren Gemütszustand entspricht. Zeichenhaft kann die künstlerische Komposition als Weisung in das ethische Verhalten des Maßhaltens gedeutet werden, das Kunst und Weisheit erfordert. Die Tugend der temperantia, der Mäßigung, wird in verschiedenen Bildern Vermeers, vornehmlich mit der Darstellung von Frauenfiguren, wiederholt thematisch (wie im Berliner Gemälde „Das Weinglas“).
1.
Das für die Malkunst leitende Gleichgewicht ihrer Komposition gewinnt im vorliegenden Bild diese vom Betrachter mit eigener, geistiger Arbeit zu erschließende ethisch-seelische Bedeutung durch die Einbindung von Verweisungen und Zeichen, die – unterfasst von einem aus dem Hintergrund sich in Erinnerung rufendes Bild im Bild - in einer ein konstruktives Sehen verlangenden Darstellung verknüpft werden.
Wir haben es weder mit einem bloßen Abbild noch mit einem bloßen Symbolbild zu tun. Die Bildkonstruktion ist von verschiedenartigen Reflexionen mitgeprägt, die vom Betrachter für sein deutendes Sehen selbständig mitzuvollziehen sind:
Reflexe erscheinen sinnlich anschaulich mit dem z.B. an den Perlen zurückgeworfenen Licht.
Reflexiv ist aber auch das an der Hintergrundwand erscheinende Gemälde im Gemälde, das hier die Büste der stehenden Frau hinterfängt. Eine andere Reflexionsgestalt begegnet mit der Figur eines vor der Landwand sitzend ein Gemälde beginnenden Malers im Bild „Die Malkunst“ des Kunsthistorischen Museums in Wien (vgl. http://kunst.systematische-theologie.de/malkunst.html.),der dem Betrachter dieses Interieurs eines in ein bürgerliches Wohnzimmer versetzten Ateliers den Rücken zuwendet.
Mit dieser seiner Reflexivität wird das Bildliche als solches thematisch, wirft uns auf dessen ihm eigentümliche Art und Weise sichtbarer Gegenwart im Anspruch seiner uns einbeziehenden Deutung zurück.
2.
Ein großes Gemälde des Jüngsten Gerichts, schwarz mit schmal vergoldeten Doppelleisten gerahmt, hängt an der Rückwand des Raumes. Die rechte Hand, die die Waage hält, ist genau vor der unteren Ecke des Rahmens links vom Betrachter aus gesehen situiert. Auf dem schwer und stabil erscheinenden Tisch vor der Frau liegen ein blau schimmernder, schwerer Tischteppich, offene Schmuckschatullen, zwei,drei Perlenstränge und Metallschmuck oder ein Münze. Gedämmtes weiches Licht fällt durch das selbst nicht sichtbare Fenster und beleuchtet neben einem leichten, gelben Vorhang in einer Diagonalen von links oben nach rechts unten die Szene, bringt zusammen mit den Perlenreflexen über dem Kästchen das weiß umrahmte Gesicht der Frau zu einem stillen Leuchten. Die Frau mit dem gesenkten Blick scheint sich in ihrer ganzen Haltung auf das Halten des Gleichgewichts der Schalen ihrer rechten Hand zu konzentrieren.
Das Gelb des Fensters links oben und hervorstechende Gold der Bildleisten rechts umrahmen den kontrastreichen Hintergrund der den Bildraum abschließenden Wand mit ihrem hellen Grau und dem Dunkel des Gemäldes, dessen Rahmen in der Mitte eine dunkle Achse einer in ihrem Sinneseindruck bewegten Fläche bildet.
Die Frau hält – unbewegt – die Waage ohne etwas zu wiegen.
Durch das Sichtbarwerden der Konzentration auf das Halten ihrer Hand bringt die zentrale Figur die Ruhe einer Besinnung zum Ausdruck, die in ihrem Gleichgewicht der urteilenden Entscheidung eines letzten Gerichts von Vorzug oder Verdammnis kontrastiert wird, wie es das Hintergrundbild (wohl von Jakob de Bakker) in zugleich zurücktretende Erinnerung ruft. Die Entgegensetzung von Ruhe und Bewegung verflicht sich mit dem Kontrast der Bedeutungen von Gleichgewicht und hochschätzender oder verdammender Abwägung.
Die visuelle Gegenüberstellung der Frau, der ein Gleichgewicht zu halten gelingt, zur ungleich gewichtenden Entscheidung im Jüngsten Gerichts macht zwar eine thematische Parallele von Urteilen und Wägen sinnfällig, weist aber gerade eine Unterscheidung von justitiarer Gerechtigkeit (wir kennen ja die Allegorien der blinden Justitia mit der Waage) und der Tugend des Maßes aus, die freilich eine Beherrschung von Unmäßigkeit in allem Begehren voraussetzt. Und eben eine solche Selbstbeherrschung gehört zur Besonnenheit als eine Tugend.
3.
Aus den tradierten Interpretationsversuchen zu diesem Bild möchte ich zwei Aspekte zur Diskussion stellen:
1.) Aus den Lichtreflexion der Waagschalen und dem Bezug zu den Perlenketten hat man geschlossen, die Frau würde Perlen wägen, als wäre sie eine Händlerin oder vergnügte sich in der Wertschätzung des Besitzes ihres glänzenden Schmucks. Die Lichtreflexe auf den Waagschalen werden aber, wie sich bei genauer Betrachtung zeigt, nicht durch Perlen hervorgerufen, sondern durch die Waagschalen selbst; die Schalen sind leer.
2) Die dargestellte Szene wurde auch religiös moralisierend gedeutet. Sie scheint eine Übung anzuweisen, die an die Anweisungen des Ignatius von Loyola in seinen Exerzitien erinnert: die Gläubigen sollen vor der Meditation zuerst ihr Gewissen prüfen und ihre Sünden abwägen, als würden sie dem Jüngsten Gericht gegenüberstehen. Nur eine solche Selbstbeobachtung könne zu tugendhaften Entscheidungen auf dem Lebensweg führen. Das Bild „Woman Holding a Balance“ fordere uns allegorisch auf, unser Leben mit Mäßigung zu führen. Die geistig-seelische Haltung der Frau schwebe zwischen den irdischen Schätzen aus Gold und Perlen und einer visuellen Erinnerung an die ewigen Folgen ihres Handelns.
Erinnert werden wir an die Vorstellungen eines Jüngsten Gerichts, in dem die unverstellten „nackten“ Seelen vor die Beurteilung je ihrer eigenen, je selbst zu verantworteten Führung des Lebens gestellt sind und sie im ganzen zu vertreten haben und zu verantworten haben. Wie die Jenseitsmythen der Gerechtigkeit bei Platon zeigen, gewinnt die Darstellung des Jenseitsgerichts (für die Seelen) eine Bedeutung innerhalb des noch entscheidungsfähige zu führenden Lebens von Menschen. Dass sie erzählt und erinnert werden, ist für das, was sie uns bedeuten, entscheidend.
4.
Ohne das sich Einlassen auf Wege, die das Bild in seiner Komposition dem entdeckenden Betrachter bietet, läßt sich aber keine angemessene Deutung finden. Ein Werk der bildende Kunst ist nicht Träger von außer ihm fixierten Botschaften. Alles Deuten weist auf es selbst in seiner Präsenz und der aus ihr sich erschließenden kompositorischen Struktur als Werk zurück.
Die Hand, die die Waage hält, nimmt eine Position direkt vor der dunklen Ecke des Rahmens ein, während sich die Waage gegen die nackte, graue Putzwand absetzt. Das Gesicht der Frau, das konzentriert nach unten auf die Waage blickt, ist von oben her, an der hohen offenen Stirn unter der Kopfhaube ansetzend beleuchtet. Die weißen Partien reflektieren das ansonsten fahl wirkende Licht vom Fenster links oben kraftvoll; das leuchtende Weiß der Malfarbe lässt die Figur in Gesicht, Haube, Pelzbesatz und den nackten Armen und Händen gegen den dunkleren Hintergrund nach vorne treten. Das Gesicht, das inmitten des Gemäldes an der Wand im Hintergrund situiert ist, hat seine Blickrichtung leicht zum Betrachter gewendet.
Am linken Teil des schwarzen Rahmen des Bildes, der sich genau über ihrer Hand nach oben erstreckt, wird das Fensterlicht kaum reflektiert, die vergoldeten Doppelleisten haben kaum Leuchtkraft. So tritt der Hintergrund der Figur mit dieser linke Seite des Bildes (vom Jüngsten Gericht) zurück, während seine rechte Längsseite, die sich hinter ihrem Rücken nach oben reckt, seine vergoldeten Leisten im schwarzen Rahmen kräftig aufleuchten läßt und gegenüber dem dunklen Stoff der Jacke nach vorne rückt. Auch der Rahmen scheint – wohl durch dessen Schattenwurf – an der unteren Ecke rechts größer als die auf der linken, von der Hand fast verdeckten Seite, so dass auch dadurch die einen Innenraum abbildende Fläche, auf der die Figur gefasst wird, sich gegen das stille Betrachten zu drehen bestrebt erscheint.
Solche Eindrücke von gegenbewegten Bestrebungen der zu erfassenden Raumgestalt wird durch die helleren, schwarz-weißen Fußbodenkacheln (-fließen) unten hinter der Frauengestalt noch zusätzlich verstärkt. unter dem Tisch vor der Frauenfigur nicht nur dunkler, sondern wirken auch größer als die helleren hinter ihr.
Das Betrachten wird so gehalten, wenn es die Figur im Bildraum situiert, das Gesicht der Frau nach links zum Licht hin zu drehen – und stößt dabei mit dem Empfinden auf den Widerstand des schweren blauen Tuchs, und den üppigen Perlenschmuck der über die geöffneten, aufgestapelten Verwahrkästchen vor der Frau auf dem Tisch ausgebreitet ist. Gegendruck erhält das Betrachten auch durch die insgesamt dunklen Partien links unten. Auch mit den dunklen, größer scheinenden Bodenfließen unter dem Tisch drängen diese Bildteile von unten her nach vorne und stehen gegen das Licht von oben.
Materielles Gewicht und das lichtgeführte Raum- und Schattenempfinden müssen in ein durch das empfindende vernehmende Betrachten imaginativ herzustellendes Gleichgewicht gebracht werden, das die Bildkompositon ermöglicht, dazu sie aber auch herausfordert. Deutlich wird, dass das Gleichgewicht der Bildkunst im Betrachten, auf das sie sich ausrichtet, kunstvoll geschaffen wird und die kompositorische Balance nicht durch die raumillusionäre Zentralperspektive erzeugt und getragen wird, sondern es werden im räumlich stillstellenden Vorstellungsvermögen des Betrachters entgegengesetzte Bewegkräfte aufgerufenen, die in eine Zusammenstimmung zu bringen sind.
5.
Der Perlenschmuck wird in Kästchen verwahrt, die aus den Schränken hervorgeholt wurden und nun offen auf dem Tisch liegen, den sonst versteckten Besitz zur Schau stellen. Auch das zurückgeschlagene schwere Tischtuch bezeichnet wie die zur Seite geschobenen Vorhänge (etwa im Bild die Malkunst oder der Allegorie des Glaubens) ein Offenlegen und Offenbarmachen. Die bildliche Darstellung hat ein ihr ursprünglich eigenes Moment zum Thema, die Unverborgenheit – deren griechischer Name – aletheia, die Wahrheit als das Unvergessene, das Unverborgene bedeutet.
Man könnte auch überlegen, ob zwei Besitzformen von Schätzen gegeneinander abgewogen werden – der sichtbar irdische Besitz an werthaft glänzenden Dingen gegenüber dem unsichtbaren „Schatz im Himmelreich“?
Das aktiv zu bewerkstelligende, durch das Kunstwerk ermöglicht werdende ästhetische Gleichgewicht ereignet sich im Spannungsfeld des im Hintergrund aufgerufenen Jüngsten Gerichts (und also der Strafe für moralische Verfehlung oder dem Lohn für ein gut geführtes Leben) und den Begierden nach Glanz und Reichtum, den der Schmuck ebenso symbolisiert wie ihn die Frau als eine wohlsituierte, reiche Bürgerin repräsentiert. Aber das für die Seele so bedeutende Gleichgewicht ist als Haltung schon eingeübt und scheint erfüllt. Ein Vergleich mit der Besitzlust oder Gier findet hier nicht (mehr) statt. Die seelischen Konflikte scheinen überwunden. Eitelkeit und das Vanitasmotiv werden auch durch den mehr zu erahnenden als abgebildeten kleinen Spiegel an der Seitenwand neben dem Fenster allenfalls erinnert, sind aber nicht mehr thematisch.
Das Wägen selbst wird als Kunst des Gleichgewichts zur zu erfüllenden Aufgabe, die sowohl in der Komposition des Bildes insgesamt als auch in der Haltung der in ihr dargestellten Frau schon als erfüllt erscheint. Daraus ergibt sich der Eindruck des Edlen und Würdigen, das sich der Stille und dem Inhalten auch dort verbindet, wo Vermeer spannungsvolle Szenen zwischen Menschen darstellt.
Schönheit und Harmonie werden im vorliegenden Bild der Frau mit der Waage getragen von ihr als zentraler Figur und ihrer sich uns erschließenden, ruhigen, aus einer gelingenden Anstrengung resultierenden Haltung. Würde aber bedarf, wo sich der Anspruch ihrer Achtung gegen das Vernachlässigen und die Rücksichtlosigkeit wendet, einer Darstellung, die ohne die Zeichen des Sinnlichen im Sichtbaren nicht auskommt. Man könnte aus der Bilderfahrung mit den Werken Vermeers die Würdeachtung als eine Art geistiges Empfinden begreifen, dessen Gefühl auch den Bruch mit dem gewohnten, naturalistischen Sehen der Dinge um uns herum einschließt. Das Bild, das sich dem Betrachter zur Erschließung in Besinnung darbietet, stellt aber keine Entscheidung des „Entweder-Oder“ in die Anforderung, sondern eröffnete eine Teilhabe in Vergegenwärtigung seiner kompositorischen Zusammenstimmung, die Gemeinschaft der Gedächtnisbildung aus reflektierter Erfahrung mit den Werken und ihrer Kunst stiftet.
Die Erfahrung des Schönen und Stimmigen in der Bildenden Kunst verbindet uns in der angesprochenen geistigen Haltung dem Sittlichen und den mit Ethos und Tugend der Besonnenheit genannten Haltungen – ohne die Liebe zum Schönen zu verachten. Die Niederländer hatten ihre calvinistischen Bilderstürmer. Jan Vermeer entstammt zwar einer protestantischen Familie, aber war mit einer katholischen Frau verheiratet, mit der er 14 Kinder hatte.
6.
Vermeers meisterhafte Kunst in Komposition und Lichtführung unterstreicht nicht einfach eine unabhängig vom Bild festzuhaltende Aussage oder Anweisung. Die Werke entstehen durch eine Kunst eigener Art, die nur aus den Werken selbst durch Teilhabe erkennbar wird. Ihr Güte wird in einer beurteilendem Empfinden dort vernommen, wo wir in aller Mühe um eine rechte Deutung aus einem genauer werdenden Schauen uns wieder auf das Bild selbst zurückwenden können und ihm eine Gegenwart im Sehen und Gedenken verleihen, die es zurecht bewahrt und würdigt, wiedergesehen zu werden.
Die Museen, die sich der Wahrung der Kunstwerke zur Fortbildung der Kunsterfahrung widmen, erhalten aus den Werken selbst ihre Bestimmung und Rechtfertigung ihrer Aufgabe.
7. Nachtrag
Das schräg von links oben hereinfallende Licht nimmt die Farbe des orange-gelbroten Vorhangs mit, der in ähnlicher Farbe der Stoff über dem Bäuchlein der Frau antwortet, das zwischen dem Weiß des Pelzbesatzes der hier leicht sich öffnenden Jacke hervorscheint.
Das Gesicht hat einen madonnenhaften Ausdruck und läßt Maria als Mutter des Erlösers assoziieren. Deutet man, wie dies einige Interpreten vorschlagen, die Frau als schwanger, kontrastiert die bevorstehende Geburt dem im Verhältnis zum Tod (zum Lebensende) bedeutsam werdenden Jüngsten Gericht (dem Tag der letzten Entscheidung) – und das Gleichgewicht als Bildthema schlösse als Ausrichtungsbedingung in der Haltung der rechten Lebensführung das Verhältnis von Tod und sich erneuerndem Leben ein, für das die Frau als Trägerin eine zentrale, zu würdigende Bedeutung hat.
Das Verdecken des richtenden Erzengels Michaels mit dem gegen die Verdammten gerichteten Schwert durch ihren Kopf der Frau direkt vor dieser Bildmitte des Jüngsten Gerichts (von Jakob de Baker) verleiht der Frauenfigur die (wirklich nur assoziativ herzustellende) Bedeutung, dass von ihr ausgehend die Verheißung (der Erlösung) erfüllt werden kann, dem Gericht nicht zu verfallen.
Wenn man unterstellen kann, dass mit dem durch die sich leicht öffnende Jacke frei gegebenen Blick auf die Bauchschwellung eine Schwangerschaft assoziiert wird, (der Gesichtsausdruck würde dazu passen), wird hier nicht Erlösung durch die Geburt, Leben und Opfer des erhofften Retters thematisch, wohl aber eine Gestaltung einer Seelenruhe, die eine Friedenshoffnung birgt und dem Gericht und dessen Entscheidung widersteht.
Überhaupt wird mit der Konzentration auf die Ausgeglichenheit der Waage in der (im Lichtstrahl aufleuchtend, gegen Wand und Rahmen hervorspringenden Hand) und dem sie wie sich selbst im Gleichgewicht Halten ein Stillstellen zum Ausdruck gebracht, ein zur Ruhe gebracht Sein, das vom beleuchteten Zentrum her die Unruheherde zurücksetzt und dies durch den zurückgedrängten („verkrumpelten“) Tischteppich versinnbildlicht und als thematischen Vorgang erkennbar hält, ohne sich von dieser Abwehr (von Unruhe) beherrschen zu lassen.
Das Gleichgewicht ist mit all der Anstrengung, die hier geleistet wird, auch eine Selbstbeherrschung, in deren erreichter Haltung die Mühe überwunden scheint und fast nur noch in der stützenden rechten Hand erkennbar wird und in die Bildgegenwart auscheint.
Das Ausbalancieren der Waagschalen ist ganz zum Ausdruck eines von innen her leuchtenden Gleichgewichts geworden; es kann darum auch nicht Vorbereitung sein für ein späteres Wiegen von Dingen. Sofern hier ein Wäageinstrument nur erst justiert würde, ist es die eigene Urteilskraft der Person, die sich hier einstimmt – der entgegensetzenden und auf Vorzug und Zwecke bezogenen Entscheidung entgegen. Das im Gleichgewicht Halten hat keinen Zweck außer sich.
Auch daraus begründet sich der Eindruck des Würdigen, den wir als Betrachter empfinden. Dem Heiligen ist hier im Interieur als Raum der Darstellung eines seelischen Gleichgewichts eine Gegenwart verliehen, die von der Würde des Menschen als sittlichem Achtungsgrund her das ästhetische Empfinden leitet und diesem vom Bildwerk her wiederum eine ethisch orientierende Bedeutung verleiht.