Das unbekannte Meisterwerk - Honoré de Balsac


Seine Seele, die Erwiedrung heischet,

Leihet der Geliebten, was sie fühlt,

Gern vom eignen Wiederschein getäuschet,

Der um jene Jugendfülle spielt.

Mit des Steines nachgeahmtem Leben

Strebt er sich so innig zu verweben,

Daß sein Herz, von Lieb' und Lust bewegt,

Wie in beider Busen schlägt.

(August Wilhem Schlegel, Pygmalion)


Falconet Pygmalion & Galatee Ermitage


1.

Die Erzählung „Das unbekannte Meisterwerk“ von Honoré de Balsac gliedert sich in zwei durch die Namen von zwei Frauen betitelten Teile:

  1. „Gillette“ ist die in der Geschichte präsente und in das Handlungsgeschehen einbezogene Geliebte und Modell des noch in seinen Anfängen stehenden, jungen Nicolas Poussin.
  2. „Katharina Lescault“, der Name einer wegen ihrer Schönheit berühmten, öffentlich bewunderten Schauspielerin zu jener Zeit Anfang des 17. Jh, spielt nur im und durch das auf sie bezogenen Bildnis des Meisters Frenhofer eine tragende Rolle in diesem Drama um die Bestimmung und Maß der vollendeten, der meisterlichen Kunst der Malerei.

Damit ist schon von dieser Gliederung her deutlich, dass die Frage der angestrebten Vollkommenheit in der Malkunst von den drei männlichen Malern her thematisiert mit dem erotischen Begehren und der Inbesitznahme und Aneignung einer zugleich idealisierten Frau verknüpft ist und zu Konflikten führt, die sich – ohne Eingriff der Göttin – ohne Katastrophe nicht lösen kann. Das bekannte Ende dieser Geschichte, die Zerstörung des darum ewig unbekannt bleibenden Meisterwerks, die den scheiternden Meister in den Tod mitreist, folgt aus der Hybris als einzelner männlicher Künstler das nach dem Ideal des Lebendigen zu fertigende Werk als eine ausschließlich ihm gehörende Geliebte zu erschaffen. Wie der Bezug auf die Lescault anzeigt, ist die in Liebe zu erschaffende Gestalt der Geliebten durch ein Vorbild bedingt, mit dem sie auf eine öffentlich bewunderte und allgemein begehrte Idealgestalt bezogen bleibt. Das Werk in seinem Schaffensprozess idealisiert ein Öffentlichkeitsbild, das es im Eigenwerk als vollkommen angeeignete, in künstlerleidenschaft geliebten Frau der Öffentlichkeit entzieht und ihm einen gegen alle anderen draußen abschließbaren, inneren Ort im Atelier als Herrschaftsreich des Malers zuweist, den es nie verlassen durfte. Zum die Katastrophe unmittelbar auslösenden Ereignis wird darum die durch den Tauschhandel zur Ermöglichung der scheinbaren Vollendung des Werks allein im Blick des Malers die ihm widerfahrende Nötigung, den wiederum die Öffentlichkeit repräsentierenden Blick der beiden Malerkollegen zur Beurteilung der auch für sie erfahrbaren Vollendung eben eines dastehenden Werks zuzulassen.

Dem Werk ist es eigen und dies wird durch die Bewunderungs- und Lobreden des meisters für sein heimliches Werk bestätigt, auf den „geeigenten Betrachter“ angelegt; es gehört zur Natur des Bildnisses.

Wie die späte Szene mit der als lebendiger Schönheit für die Vollendung des Meisterwerks noch Modell stehenden Gillette dann anzeigt, reichte – nun vom Schaffensprozess her betrachtet – dem Malerauge für die Vollendung der Kunst weder die Erinnerung an die Auftritte der öffentlich zu bewundernden Dame (in der ihrem Bühnenauftritt eigenen Distanz zu jedem einzelnen im Publikum) noch seine Imaginationskraft hin, um sein Ideal zu gestalten, sondern bedurfte einer „lebendig sinnlichen“ Anschauung in der Gegenwart eines ihm dienenden Modells, die vom erotisch aneignende Begehren mitgetragen bleibt.

Gillette wird im Gegenzug zur Entdeckung des Meisterwerks (nach der durch sie ermöglichen Vollendung) dem Meister Frenhofer zugeführt und als jenes Modell von Schönheit der begehrten Frau „angeboten“, nach dem der Meister bereit war, in aller Welt zu suchen.

„Frenhofer erbebte. Gillette stand in der naiven und einfachen Haltung einer unschuldigen und furchtsamen Georgierin da, die, von Räubern entführt, einem Sklavenhändler angeboten wird. (…) In diesem Augenblick verfluchte Poussin, in Verzweiflung darüber, diesen herrlichen Schatz aus seiner Kammer hervorgeholt zu haben, sich selber. Er war jetzt mehr Liebhaber als Künstler, und tausend Bedenken kehrten ihm das Herz um, als er das verjüngte Auge des Malers sah, der in seiner Malgewohnheit dieses junge Mädchen gleichsam entkleidete, indem er ihre geheimsten Formen erriet.“ - bevor, so müsste man zusetzen, sich sich wirklich, um als Modell für den Akt zu sitzen, entkleidete.

„Oh, laßt sie mir einen Augenblick“, sagte der alte Maler, „Ihr sollte sie mit meiner Katharina vergleichen“

und gibt dem Drängen der beiden Maler, endlich das vom Meister selbst so gelobte Meisterwerk sehen zu können, nach:

„ja, ich willige ein.“

Der Meister tauscht dieses, seine Werkliebe mit anderen teilen zu müssen, gegen die Möglichkeit der Werkvollendung ein, da ihm die Vollendung durch da sich Ausleihen der jungen Frauengestalt ermöglicht wird. Es ist ein Tausch des für einen Augenblick sinnlich zu erhaschenden Lebens der Lebendigen gegen das beurteilende Erblickendürfen der vollendet gemalten Lebendigkeit durch andere, die jedoch jeglichen anderen genau das nicht werden kann, als was sie vom und für den Meister (als Mann) gestaltet wurde: als „seine“ Katharina, als seine schöne Querulantin, la belle noiseuse.

Damit hält Frenhofer notgedrungen sein Bild in die Beurteilungsempfindung anderer, wie es der Vollendung des Werks entspricht, das dann ja das Atelier verlassen kann. Er teilt ihren Anblick mit jenen anderen, die hier in Gestalt zweier Maler die Kunstöffentlichkeit vertreten und die Darstellung des Begriffs, den der Meister von seinem Bild als seiner ihm ausschließlich zugehörenden Geliebten hat und bekundet, an dem messen (und anders hat es der Meister ja nie bezeichnet), was er ihnen gegenüber bedeutet hatte: die Frau, seine Frau. Doch läßt sie sich als Bild und durch das Bildnis öffentlich nicht wiedererkennen. Auf eine körperlich erkennbare Gestalt, die sich als vielfach übermalte und überzeichnet erweist, weist nur noch ein vollendet gemalte Fuß hin – gleich jenem erotischen Zeichen, wenn in einer Kultur der Verhüllung nur ab und an der Fuß einer Schönen unter dem langen Rock sichtbar wird.

Die Entzauberung des nur im Auge des schaffenden Maler selbst noch als vollkommen zu scheinen fähigen Bildes, – denn die Aneignung als Geliebte bleibt für die Empfindung des Vollendeten auf die Einbildung und Erinnerung der bedeutungsträchtigen Mal- und Übermalvorgänge angewiesen –, setzt ein, als der Meister den vor Neugier schier platzenden beiden Malern, Porbus und Poussin, sein Werk erläutert, wie er es gedanken- und gefühlvoll sieht und so es auch andere doch sehen können sollten (wenn sie nur genau schauten):

„so viel Vollkommenheit hattet ihr nicht erwartet! Ihr steht vor einer Frau, und ihr suchtet ein Bild. (…) Wo ist die Kunst? Verloren, verschwunden.“

- denn er muss zugleich das Bild als Bild bestätigen, dass es die Formen, die Farbe, das Leben der Linie – eben im Unterschied zum Leben der Frau selbst – als Linie, die den Körper zu umreißen scheint, „herrlich gefaßt“ habe.

Und weil es Kunst, allerhöchste Kunst sein muß, „die die Kunst verdeckte“, wie, vielzitiert, Ovid seinen sich in seine Göttinnenstatue verliebenden Pygmalion wissen läßt, gibt Frenhofer das Gefasstsein, das Dargestelltsein und damit den Schein des körperlichen Lebens unwillkürlich zu und kann das ihn beherrschende Maß des wahrhaft Lebendigen in der Wiedergabe nur an seinen Glauben binden, dass es ist und dass es sichtbar ist, der aber unabtrennbar mit den jahrelangen Erfahrungen des malerischen Prozesses verknüpft ist, in denen er mit seinem Werk wie mit seiner Geliebten gelebt hat –. Dieser Prozess und die aneigenende Beteiligung als das Seine ist per se nicht mitteilbar, erlaubt keine Teilhabe und – wie das jahrelang unter Verschluss gehaltene Werk beweist – keine Öffentlichkeit.

Das Ideal der vollkommenen Lebendigkeit ist in seiner Darstellung an die einen Anschein bildende Kunst und darum an das Scheinhafte gebunden und für die Deutung – als Frau – an den Glauben, in dem das Lebendige aus dem Kunstwerk dem Liebhaber entgegenstritt, wenn er silclh von jener linie, jedem Farbautrag so führen läßt, wie er es bedeutungsvoll empfunden hat, als sich über die Jahre das Bildnis als die Geliebte selbst bildete. Die Bildwahrnehmung bleibt für diesen prätendiertten Gehalt auf Begriff und Bekundung der werkmeisterlichen Deutungsempfindung angewiesen, während das Werk als Struktur die gläubig und in poetischem Gedenken unterlegte Wahrheit für das konstuktive, ein Empfinden erst aus der präsenten Wahrnehmung erzeugenden Betrachtung anderer nicht tragen kann. Denn dies erforderte ein Kunst- und Werkverständnis, das darstellungsreflexiv die kunstvolle Scheinbildung mit in den werkstrukturell zu ermöglichenden Erkenntnisprozess einbezogen sein läßt. Nicolas Poussin wird dies in seinen eigenen Meisterwerken, von denen wie jedes Kunstwerks keines allein „das absolute Kunstwerk“ zu sein vermag, beherzigen und, nimmt man die natürlich fiktive Geschichte für einen Augeblick ernst, aus diesem Scheitern des genialischen Meisters wie aus dem Widerstreit in der Wahrung des Liebenswürdigen einer lebendigen Frau und Geliebten und der Aneignung ihrer sichtbaren Erscheinung für die Gestaltbildungen in der Malerei gelernt haben.


2.

Mit diesem Vorgriff auf die Widerspruchskonstellation vor der einzigen, halböffentlichen Entdeckung jenes Meisterwerks, das dann, statt der Öffentlichkeit, den Flammen zur Vernichtung übergeben werden wird, können wir uns nun der Exposition der Thematisierung von Maß, Ideal und Zweck der Malkunst widmen, die sich aus der Begegnung der drei Herren im Atelier des Malers Porbus entwickelt.

Balsac schildert den jungen, aufstrebenden Künstler Poussin im Jahr 1612 vor einer Tür zu einem etablierten Hofmaler von Heinrich dem IV. in jener „tiefen Empfindung, die das Herz der großen Künstler erzittern läßt, wenn sie, noch jung, mit ihrer warmen Liebe zur Kunst vor einem Mann von Genie oder vor ein Meisterwerk treten.“ Und Balsac zeichnet in jenes Empfinden sogleich die Verwandschaft von aufblühender Liebesempfindung und der jungen, begeisterten Leidenschaft des Künstlers ein, die in der zu erzählenden Geschichte den dramatischen Vergleich schürzt.

Nach dem Bericht über jenen mit eintreten Greis, der nach dem Eindruck des jungen, hoffnungschüchternen Malers etwas teuflisch anziehendes habe, und im Betreten des üppig ausgestatteten Ateliers (selbst ein Ort der Sehnsucht des noch armen Malers, der bisher nur in seiner Dachkammer malen konnte) wendet sich der durch die Erzählung geleitete imaginierende Auge des Lesers dem Tafelbild der „Maria in Ägypten“ zu, einer eremitischen Heiligen, die jahrlang in der Wüste nur durch ihre Haare bekleidet lebte.

Der erst Kommentar des (eingetretenen) greisen Malers zu diesem Bild statuiert zugleich das Kriterium seiner Kunstbeurteilung und intoniert damit den in der Erzählung thematischen, dramatischen Konflikt im genial schaffenden und beurteilenden Geist der Malkunst: „Deine gute Frau ist nicht übel, aber sie lebt nicht.“ (S. 12) Sie „ist eine Silhouette, die nur eine Seite hat, sie ist ein ausgeschnittenes Scheinbild, (…) ich kann nicht glauben, dass dieser schöne Körper von warmem Leben beseelt ist“ Der Meister verlangt Glaubhaftigkeit im Eindruck des – dargestellten – Lebens, den die Malkunst zu erzeugen habe.

„Diese Stelle zuckt, aber dies andere ist reglos; Leben und Tod kämpfen in jeder Einzelheit: hier ist es eine Frau, da eine Statue, weiterhin ein Leichnam. Deine Schöpfung ist unvollkommen.“ kommentiert er das Bild seines Freundes Porbus und nennt auch einen der Gründe: es sei im Stil seienr Kunst zu unentschieden „zwischen der Zeichnung und der Farbe“, es käme aber darauf an, „die beiden widerstreitenden Stile zu verschmelzen (…), um die Einheit zu erreichen, die eine der Bedingungen des Lebens vortäuscht.“ (S. 15)

Die Vollkommenheit wird in ihrem Kriterium an die Lebendigkeit in ihrem Eindruck geknüpft, währen doch die Malkunst auf der Fläche immer eine Stillstellung bewirkt, wenn das Werk als Werk vollendet wird, deren Strukturen und Verhältnisse (von Zeichnung und Farbe) erst durch die Einbildungskraft im Betrachten wieder Empfindung werden können.

Bei allem Maß des Lebendigen und der Natur gesteht der sein Beurteilungskriterium bekundende Künstler, wie könnte er anders, doch ein, dass er an für die Vollkommenheit der Kunst an der perfekten Illusion orientiert bleibt und das Lebendigsein durch das Bild eben doch nur bewältigen kann, wenn es gelingt, es vollendet vorzutäuschen. Porbus gesteht den Mangel seiner Kunstfertigkeit ein, daß es Dinge gibt – und meint hier näherin den menschlichen, den weiblichen Körper, „die in der Natur wahr sind und auf der Leinwand nicht mehr wahrscheinlich wirken.“

„Es ist nicht die Aufgabe der Kunst,“ antwortet Frenhofer, „die Natur zu kopieren, sondern sie auszudrücken“ und greift, statt einer „vernichtenden“ Analyse, obwohl nur selbst Besucher im Atelier von Porbus zu dessen Palette und verbessert wirkungsvoll das fremde Gemälde. Dabei kommentiert er fortlaufend Bestimmung und Zweck der malerischen Kunst als solcher, sie habe „das Leben selber“ zu erfassen. Es müsse das „Allerheiligste der Natur“ gestürmt werden, das sich entziehe und darum „mit Liebe und Beharrlichkeit“ die Schönheit selbst geduldig „belauert“ und bedrängt werden müsse, um sie zu überwinden und „zur Übergabe zu zwingen“: „bis die Natur gezwungen ist, sich ganz nackt und in ihrem wahren Geist zu zeigen.“ (S. 16)

Diese Metaphorik von Kampf und Bezwingen verbindet den so geschilderten malerischen Prozess mit den Nachstellungen des Liebesbegehrens, wie es so viele der antiken Mythen berichten. Die in der Bildwerdung gerade nicht mögliche Erfüllung der Vereinigung körperlich begehrender Liebe bleibt doch Antriebskraft im Streben nach künstlerischer Vollendung, um die auch Frenhofer selbst für sein Werk ringt. Zur maßgeblichen Bestimmung des Kriteriums der wahren Kunst kommt die Vollkommenheit als Maß. Darum setzt er in seiner Kritik immer wieder daran an, dass hier oder dort und insesamt etwas fehlt. Es solle eben doch nicht nur ein „Anschein des Lebens“ sein, sondern es gelte (im Vorbild Tizians und Raffaels) die Blüte des Lebens zu „erhaschen“.

„O Natur, Natur, wer hat dich je auf deiner Flucht erhascht?“ (S. 28)

„Farbe, Empfindung und Zeichnung“, (S. 19) die drei wesentlichen Bestandteile der Kunst, bleiben so aber immer Mittel für das angestrebte Erfassen, Erhaschen, Festhalten und zur Darstellung Bringen.

Wenn sie wahr sein will, dann muss sich die Kunst zu dieser Scheinbildung aber im Werk selbst bekennen. Darum darf die Kunst sich selbst gerade nicht als Kriterium der Vollkommenheit vollendet verschwinden lassen. Dieser Widerstreit wird ja im Verhältnis zum Bildnis der „belle noiseuse“ selbst sinnfällig werden: in der Konfrontation mit den je anderen Betrachtern, in deren Gemeinsinn sich die Anlage seines Kriterium nicht fügen kann und an ihm, auf den die Werkidee ausgerichtet bleibt, zerbrechen muss.

Die Anwendung des Vollkommenheitsmaßes, wie es Frenhofer propagiert und zu verfolgen sucht, bleibt darum den „in die tiefsten Geheimnisse der Kunst Eingeweihten“ vorbehalten, die allerdings den letztlich wenigen auserwählten Malerkünstlern nur eigen sein kann, die, wie er das Geheimnis des Reliefs von seinem Lehrer (Mabuse, Jan Gossaert) überlassen erhalten hat, die Macht, „den Figuren jenes außerordentlich Leben, jene Blüte der Natur zu verleihen, die unsere ewige Verzweiflung ist“ (S. 32). Er selbst hat sich dann ja als Meister der Täuschung erwiesen, als er für ein Kleid aus Papier den gemalten Rosendamast wie echt aussehen ließ.

3.  Relief – Schatten – Leonardo

Das Werk des Genies muß ein Werk der Geduld sein. Es seien 10 Jahre, an denen er an seinem Meisterwerk gearbeitet hat und nun muss es wiederum ein sinnliches Anschauenkönnen des lebendig Schönen einer sich nackt zu zeigen überredeten Natur sein, von der er sich einzig erhofft, dass es die Selbstzweifel überwinden und nach seinem eigenen Urteil und Empfinden das Werk zu Vollendung zu bringen ihm ermöglichen kann.

Die in der Erzählung dafür entscheidende Passage, durch die Gillette als Modell ins Spiel kommt, um jene andere Bildfrau, die nach Katharine Lescout benannt wird, vollenden zu können, hat gegen Ende des ersten Teils ihren Ort:

Es „hat mir bis jetzt eins gefehlt, daß ich nämlich einer einwandfreien Frau begegnete, einem Körper, dessen Konturen von vollkommener Schönheit sind und dessen Inkarnat … aber wo wäre sie im Leben zu finden“ … jene unauffindbare Venus der Alten, um ein einziges Mal auf einen Augenblick die göttliche, vollständige Natur, kurz, das Ideal zu sehen ...“

Noch in der genialen Vollendung bleibt die Bildkunst für die Gestaltung des Ideals abhängig von dessen Sichtbarsein. Der Maler muss Gegenwärtiges schauen; er kann nicht nur Dichter sein. Darum ist er abhängig vom Modell, nach dem es ihn begehrt und zu dem hin er sich in gedoppelter Intention verfängt.

In der überlieferten Anekdote des griechischen Malers Xeuxis läßt er sich viele schöne Jungfrauen kommen, von denen er jeweils das vollendet Schöne einer Partie ihres Körpers abnehmen kann, um die ideale Gestaltung der Helena, die zu malen er beauftragt war.

Mit dem thematisierten Spannungsverhältnis erotisch sinnlicher Liebe zwischen Lebenden zum Erhaschen der Blüte des Lebendigen als Kriterium der Vollkommenheit des Kunstwerks exponiert das Erzählstück um die Bestimmung des Ideals in der Kunst zugleich deren unvermeidliches Scheitern aus innerkünstlerischen Gründen, da sie die Erkennbarkeit ihrer Scheinerzeugung zugunsten des Scheins der Gegenwart des Lebendigen opfern muss, verstrickt in die Benutzung einer schönen weiblichen Erscheinung für das Erblickbarmachen der idealen Schönheit durch die Kunst.

Die Kunstintention gibt ja zu, dass sie den Eindruck erzeugen will, das Dargestellte könnte lebendig und die in Wahrheit Geliebte sein, und spricht aus dem Ideal der Ununterschiedenheit von Bild und Wirklichkeit doch je in der Möglichkeitsform, in der die Einbildungskräfte des Betrachters aufgerufen sind, das Erblühen des Lebendigen zu vergegenwärtigen. „... und dass man ihren Körper nicht umgehen könnte.“ (S. 13)

Ovid schildert meisterhaft die tastende Annäherungen der Einbildungskraft auf das verlebendigende Empfinden des geliebten Bildnisses hin:

            

Wirkliche Jungfrau scheint die Gestalt, und man meinte, lebendig

Sei sie und wolle, wofern nicht Scham es verwehrte, sich regen.

Daß es  Kunst war, die Kunst verdeckte. In Entzücken verloren,

Fasst zu dem scheinbaren Leib Pygmalion glühende Liebe.

Oft legt  prüfend die Hand er daran, ob Leib das Gebilde (…)

Wähnt gar, dass sich die Haut den berührenden Fingern bequeme.

            (Ovid, Metamorphosen, X, V 250-257)
        

Dass das Sehen (und selbst das Tasten der Statue) nicht ausreicht zum Beweis der kunstvollen Lebendigkeit gegenüber dem 'als ob' und 'als sei', dem Meinen und Wähnen des kunstlosen Wirklichwerdenden, muss, um Vertrauen gegenüber dem zweifelnden Verdacht des unüberwundenen Scheins zu stiften, wie es der Rosenroman im 14. Jh schildert, die Gestalt selbst ihn anzureden ansetzen:

Da antwortete ihm das Mädchen,

‘Dies ist kein Dämon, noch ein Geist,

lieber Freund, sondern ich bin Eure Freundin,

bereit, Eure Gesellschaft anzunehmen,

und ich biete euch meine Liebe an,

falls es Euch gefällt, ein solches Angebot anzunehmen’.

(Jean de Meun, Rosenroman II, V 21141-21150)1


3.

Das Gemälde wendet sich als Bildwerk aus der Natur seiner eingesetzten und künstlerisch beherrschbaren Mittel jedoch zunächst nur an das Sehen und dann vermittels des nur auf der Fläche und ihr gegenüber für das betrachtenden Auge sichtbar Werdenden an die Einbildungs- und Beurteilungskraft und die dann wieder Begriffe gebrauchende Deutung der „geeigneten“, der diese Vermögen besitzenden Betrachter. Der malerisch zu vermittelnde Eindruck des Plastischen und des Lebenden, wie ihn zu erzeugen Frenhofer verlangt, bleibt auf die Beteiligung der geistigen Arbeit des jeweiligen Betrachters angewiesen, dessen einbildungsgetragenem Empfinden das Sichtbare im Werk muss dienen und zuarbeiten können – auch im Bruch der Abbilderwartungen.

Im jungen Poussin unserer, der Balsac'schen Erzählung reift mit der Faszination aus dieser Begegnung mit jener malenden und über die Kunst zugleich redenden „Künstlernatur“ (S. 30) die begeisterte Gewissheit seiner Berufung und seines zukünftigen Glücks. „heute morgen habe ich an mich geglaubt.“ (S. 34) Und er weiß, dass er jenes Mädchen zur Geliebten hat, die die Rolle des jugendlich vollendeten Ideals mädchenhafter Schönheit, die der Meister zu Vollendung seines Meisterwerks braucht, ausfüllen kann.

„...wenn es nun für meinen künftigen Ruhm, wenn es, um mich zum großen Maler zu machen, nötig wäre, daß du einem anderen Modell ständest.?“ beginnt er nach der Heimkunft in die Dachkammer Gillette zu überreden. Sie weiß, sie ahnt, dass er ein Opfer verlangt, das sie, dass ihre Liebe zugrunderichten wird. „Poussin sah nur noch seine Kunst und drückte Gillette an die Brust.

'Er liebt mich nicht mehr', dachte Gillette, als sie allein blieb.“  (S. 38) Und in ihr selbst machte sich das grauenhaftere Gefühl breit, dass sie selbst den Maler nicht mehr werde lieben können.

Damit schließt der erste ihr gewidmete Teil der Erzählung. Gillette entscheidet sich gegen Ende des zweiten vor Ort letztlich selbst für den Meister als Nacktmodell zur Anregung und Fertigstellung seines Ideals zu fungieren und sich dem begehrenden Blick des fremden alten Malers auszusetzen, der ihre Schönheit eingehen lassen wird in die Vollendung seines Werks, weil sie erkennt, dass auch ihre Geliebter, der junge noch nach Künstlerruhm strebende Poussin sie als Mädchen und Frau in Natura anders anschaut als die von ihm bewunderten Kunstwerke:

„Ach“, sagte sie, „laßt uns hinauf! So hat er mich nie angesehen.“ (S. 46)


4.

Vergleicht man die Balsac-Erzählung mit der filmischen Adaption des Themas durch Rivette (La belle noiseuse von 1991), dann wird für das von Frenhofer zur Geltung gebrachte Kriterium der Vollkommenheit deutlich, dass zumindest eines unter den zur berücksichtigen Kriterien des Vollkommenen fehlt: es kommt nicht die Person in ihrer Individualität zum Ausdruck, der Maler wird nicht selbst zum Medium der Aufnahme des Besonderen einer Person durch ein im Erblicken entstehendes, ihr und ihrem Gedenken zugehörenden Bildnis. Darum ist das Modell im Bestreben nach dem Ideal bei Frenhofer in der Schilderung von Balsac letzlich austauschbar, einzig die vollkommen erscheinende Schönheit als Frau macht das jeweilige Modell geeignet, Vorbild für das Gelingen zu werden.

Das heißt nicht, dass auch im Porträt nicht auch immer etwas Typisches und Allgemeines zur Darstellung gebracht werde, aber umgekehrt kann das Allgemeine im Beachten des Besonderen nur erkennbar sein, sonst haben wir keine Bilder und keine Anschauungen, sondern nur leere Begriffe.

Im Film (der 4 stündigen Langfassung) hingegen wird über mehr als lange Strecken hinweg gezeigt, wie der Maler (der hier auch Frenhofer heißt und von Michael Piccoli gespielt wird) die nackte Marianne in Posen setzt, nicht nur unbequem, sondern offensichtlich nicht zu ihr passend, sie also gegen ihren eigenen Ausdruck gemalt werden soll, bis sie rebelliert und nunmehr viel freier selbst sich die Stellungen und Haltungen aussucht, die der Maler nun selbst freier auf dem Zeichenblock skizziert. Am Ende, wenn er aus den Skizzen zum vollendeten Werk kommt, und sie es sieht, ist sie schockiert, fühlt Marianne sich in ihrem Wesen entlarvt. Statt es wie in der Novelle zu verbrennen, mauert der Frenhofer des Films das Meisterwerk, dessen Entstehung der Film begleitet, aber dann selbst nicht mehr zeigt, hinter einer Mauer ein.

Auch im Film ist das Modell die Freundin eines andern, der auch hier Nicolas heißt, aber keine Maler ist. Liz, die Frau und Lebensgefährtin Frenhofers, die ihm für die erste, unvollendete Fassung noch Modell stand, berichtet, dass die Vollendung des Bildes seine Liebe zu ihr ruiniert hätte.

Die Übermalung im Angesicht des anderen Modells raubt ihrem Gesicht die Präsenz im Werk, das in der Vollendung keine syneidetische Vereinigung aller weiblicher Schönheit schaffen wollen kann, wie es die Versinnlichung der Göttin der Liebe als Kunstideal beschwört.

    

1 Während die antiken Fassungen des Pygmalion-Mythos, der ursprünglich ein König von Kypris gewesen sein soll und sich in die Statue der Venus verliebte, der Vereinigung mit der durch die Göttin, die die Hochzeit mitfeiert, verlebendigten Statue auch ein Kind zuerkennt, bleibt sie in der Rezeption Heinrich Heines kinderlos: „Das ist der Fluch alles dessen, was bloß durch Kunst entstanden ist.“ Er zielt damit ganz noch romantisch auf jene statuarische Form des klassischen Werks, das er in Goethes Werken vollendet sieht, die aber, was sie Taten betrifft, folgenlos blieben. „Die Tat ist das Kind des Wortes, und die Goetheschen schönen Worte sind kinderlos.“  (Heinrich Heine, Sämtliche Schriften Bd. 5 S. 395 „Romantische Schule I“)     

Celan greift diese durch Heine geprägte  Auffassung von regelgerecht verfertigter Kunst gleich zu Beginn seiner Meridian-Rede auf: „Die Kunst, das ist, Sie erinnern sich, ein marionettenhaftes, jambisch-fünffüßiges und – diese Eigenschaft ist auch, durch den Hinweis auf Pygmalion und sein Geschöpf, mythologisch belegt – kinderloses Wesen.“




Pygmalion und Galtée Girodet














Gérome - Pygmalion and Galatea


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