Gemälde


Komposition und Rhythmus


Der Begriff der Bildung wäre ohne die auf die Vermögen der Seele in ihrer personalisierenden Konstellation bezogenen Kunstwerke – vor allem der mittelalterlichen Plastik – nicht möglich gewesen, sich auszuprägen.

Das der Mystik innewohnende Bilderverbot bezieht sich auf die abbildende Funktion. Kunstwerke aber entstehen aus dem künstlerisch sich gestaltenden Gebrauch jener Vermögen, die im Betrachter und Rezepienten herausgefordert werden und sich in der konstruktiven Anstrengung ihrer Vereinigung ethisch reflektieren.

Dies wird ausgerechnet an den Kunstwerken jener Epochen und Länder deutlich, die sich am heftigsten den Bilderstürmern ausgesetzt sahen. Deren moralisch rigorosen Impuls haben die Bildwerke vor allem der Holländer in ihren moralischen Konfliktpotentialen im sinnlich Affektiven der Malerei reflektiert und den Haltungen eingebettet, auf die aus der Entsprechung vor dem statuarischen Tafelbild der Geist der in der Betrachtung seine Sinne und ihre Orientierungen im Verhalten reflektierende Adressat sich ausrichtet.

Im Adressat des Bildes als Kunstwerk hat sich der Sender als Maler immer schon einbezogen: er nimmt vor der Leinwand die selbe Haltung ein, den Entstehungsprozess beurteilend begleitend wie der spätere Betrachter des fertigen Bildnisses in seinem dauerhaften Bestand eines Ausdrucks. Diese Gegenwart der Orientierungsidentität von Künstler und Rezepient reflektiert sich in der Vergegenwärtigung der Malszene selbst, die für die Kunst der Malerei ebenso typisch geworden ist, wie die Selbstbildnisse der Maler: in ihr bricht sich zugleich die einzunehmende Identitätshaltung auf der inhaltlich signifikativen Bildebene und die Reflexion auf die Kunst wird in die Reflexion zur Vereinigung der teilhabenden Fähigkeiten und Vermögen als abgeschlossene Werkhandlung einbezogen.

Einlaß in diese Reflexionen zu Bild und Bildung gewähren die holländischen Stilleben, die oft ein Sprichwort, eine moralische Tendenz oder eine theologisch-sittliche Bestimmung im Verhältnis zum genießenden Leben zur Grundlage haben.

Jan Vermeer van Delft

Von anderer Art aber nicht geringerer Stille sind die Bildwerke von Jan Vermeer.

Sie vermitteln discretion als Haltung, stellen aber das Lüften eines Vorhangs zum Einblick in einen intimen Raum aus, also eine zur Bildhaltung geronnene Handlung der Indiskretion, die sich durch das offene Fenster und das einfallende, erhellende Licht rechtfertigt, aber die Vereinigung zweier ursprungsverschiedener Aufklärungen verlangte, ohne die der Bildeinblick eine unrechtfertigbare Verletzung bleibt.

Mit dem öffentlichen Licht ist ein geistiges Fenster geöffnet, das die dargestellte Person zur Figur von Haltungen und Verhältnisssen macht, die wir – figurativ – als Träger der in Anspruch genommenen Vermögenshandlungen einnehmen.


Genau diesen als von außen kommend stellt Vermeer nun in anderen Bildern zu jeweils einer jungen Frau in Beziehung, die aber in ihrem Raum situiert bleibt. Sie ist dort zuhause, wohin wir und ein im Ausgehstaat bekleideter Mann hereingetreten sind. Wir betreten wir der männliche Besucher im Bild den Intimraum des jungen Mädchens.

Es ist ein Raum nicht nur des Sehens und Gesehenswerdens, sondern des Orts der Genüsse und Begierden, die aber, wie es dem Sujet und den Kunstmitteln der Tafelmalerei entspricht, von vornehrein gefasst sidn und in den Raum der Fassung gehalten werden. Die Stillstellungen der Malerei und ihrer Konstruktionen (auf eine vollendete, nicht mehr sich verändernde Bildkonstellation hin) ist der moralisch-ethischen Fassung verwandt und so kann das malerische Kunstwerk zu Bildung der seelisch-sinnlichen Vermögen in ihrer geistigen Kraft der Selbstbeherrschung aus den Vermittlungen von Erkenntnis un Selbsterkenntnis in bildnerischer Reflexion beitragen, ohne als Bebilderung eines Exemplums nur moralischen Regeln unterworfen zu sein: Der Geist des Kunstwerks wird lebendig im Austrag des Konflikts, der nicht abgebildet wird, sondern als herausgefordert und ermöglicht erkennend durchlebt zu werden aus der Beruhigung, die die werkhafte Konstellation auszeichnet und unnachahmlich bei Vermeer ihren Ausdruck erhält, aus der empfindend wie begrifflich getragenen Begegnung (auf die hin sich das Werk nicht nur eitel gestaltet, aber doch selbst alle mittel der Beeindruckung aufbietet) wirksam wird und seine bildsame Kraft dort entfaltet, wo wir diese Ruhe und Stille des Geistes einsichtsvoll und weisheitliebend aufnehmen und dem ursprünglichen Einheitsgrund als angehörig erkennen und erneuernd verankern – verweilend, selbst ruhig werdend, wie es den Orten in den zu Museen gewordenen Räumen entspricht

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